
6
Mit Gabriel einzukaufen war stressig - wir waren zwar vorher auch schon zusammen einkaufen gegangen, aber dieses Mal bezahlte er die Rechnungen, und ich konnte zum ersten Mal in meinem Leben einkaufen, ohne aufs Geld achten zu müssen, eine Tatsache, die ihn zu amüsieren schien.
»Magoth war wohl deine einzige Geldquelle in der Welt der Sterblichen«, stellte er fest, als er in einem erlesenen Pariser Kaufhaus die Verkäuferin mit einem Arm voller Kleider zur Kasse geschickt hatte. »Aber dein Zwilling hatte doch jahrhundertelang Zeit, um ein Vermögen anzuhäufen. Hat sie es nicht mit dir geteilt?«
»Cyrene ist zwar mehr als tausend Jahre alt, aber das bedeutet noch lange nicht, dass sie etwas gespart hat. Im Gegenteil sie pumpt mich immer an. Ich habe Glück, dass sie mietfrei in der Wohnung einer anderen Najade lebt; sonst würde sie wahrscheinlich noch bei mir in meinem kleinen Appartement wohnen«, antwortete ich und fuhr andächtig mit dem Finger über eine hübsche, fast durchsichtige mitternachtsblaue Seidenbluse, die mit winzigen Kristallen bestickt war, die wie Sterne am Nachthimmel funkelten. Der Preis entsprach dem eines Kleinwagens. Ich ging weiter.
Gabriel ergriff die Bluse und schürzte die Lippen, als er feststellte, dass er seine Finger durch den dünnen Stoff deutlich sehen konnte. Nach einem kurzen Blick auf meine Brüste warf er die Bluse zu den anderen Sachen an der Kasse. »Gemessen an anderen Drachen bin ich zwar nicht reich, aber offen gesagt würde es mir keine größere Mühe bereiten, dich und deinen Zwilling zu unterstützen.«
Ich hängte die Bluse wieder an den Kleiderständer. »Es ist nett von dir, dass du Cyrene helfen willst, aber das ist nicht nötig. Magoth bezahlt mich tatsächlich, auch wenn es kein nennenswertes Einkommen ist. Ich bin zwar vor über achtzig Jahren erschaffen worden, aber ich bin modern genug, um stolz darauf zu sein, dass ich mich und Cy, wenn es sein muss, ernähren kann.«
»Aber du musst es nicht«, erwiderte Gabriel und drückte die Bluse der Verkäuferin in die Arme.
»Nein, aber ich möchte gerne für mich selbst verantwortlich sein, auch wenn du so großzügig bist und mir ein Leben im Luxus ermöglichen willst.« Ich griff erneut nach der Bluse, aber die Verkäuferin, die uns anscheinend beobachtet hatte, hatte sie bereits in die Kasse eingegeben. Trotzig warf sie den Kopf in den Nacken.
Ich warf Gabriel einen Blick zu. Er grinste, und mir wurden sofort die Knie weich. »Ich erlaube dir nur, mir das alles hier zu kaufen, weil meine Sachen in London sind, und es würde viel zu lange dauern, bis Cyrene sie hierhergeschickt hat.«
»Du erlaubst mir, dir diese Sachen zu kaufen, weil du meine Gefährtin bist, und es ist nur richtig und angebracht, dass du deiner Position entsprechend gekleidet bist«, berichtigte er mich.
»Ganz zu schweigen davon, dass es mir Spaß macht, dich damit auszustatten. Vielleicht solltest du dir zwei von diesen durchsichtigen Blusen kaufen.«
»Nein!«, sagte ich rasch und seufzte mit gespielter Resignation, als er lachte. Ich legte ihm die Hand auf die Brust, damit ich seinen Herzschlag spüren konnte. Aus meinen Fingernägeln schlugen Flammen. »Na gut. Zwing mich ruhig, einen ganzen Schrank voll teurer, wunderschöner Kleider anzunehmen, wie ich sie nie besessen habe. Na los, verdreh mir schon den Arm.«
Er lachte erneut, ein samtiger Laut, der liebkosend über meine Haut glitt. Seine Augen funkelten, und er hätte mich bestimmt in seine Arme gezogen, wenn nicht in diesem Moment mein Handy geklingelt und den Zauber durchbrochen hätte.
»O Gott, das ist Cyrene«, sagte ich, als ich die Nummer auf dem Display sah. »Ich habe mich schon gefragt, wann sie mich wohl anruft. Cy? Ja, ich bin es, und ich bin draußen.«
Gabriel blickte mich an, als wolle er etwas sagen, aber dann schüttelte er nur den Kopf und ging zur Kasse, um zu bezahlen. Ich zog mich in eine ruhige Ecke zurück, um ungestört mit meinem Zwilling telefonieren zu können.
»Mayling! Ich habe mich so gefreut über deine Nachricht auf dem Anrufbeantworter! Wie ist es Gabriel gelungen, dich aus Abbadon herauszuholen? Ich habe ihm angeboten, zu Magoth zu gehen und ihn anzuflehen, dich freizulassen, aber er meinte, das sei nicht nötig, er habe andere Pläne. Was dann ja wohl auch der Fall war, da du nicht mehr in Abbadon bist, aber ich finde, Gabriel hätte es mich zumindest versuchen lassen können.«
»Nun, das spielt jetzt keine Rolle mehr. Sein Plan hat funktioniert, und ich bin jetzt hier. Wie ist es dir ergangen, während ich in Abbadon war? Du hast hoffentlich nichts angestellt, oder?«
»Natürlich nicht!«, erwiderte sie empört. Der leichte Tadel in meinem Tonfall war ihr mit Sicherheit nicht entgangen.
»Ich habe deinem Drachen versprochen, nicht in Schwierigkeiten zu geraten, und ich habe Wort gehalten.«
»Ich bin erleichtert, das zu hören.« Cyrene zog Schwierigkeiten an wie das Licht die Motten. »Und was hast du so getrieben?«
»Ach, dies und das«, sagte sie vage, und sofort schlugen meine mentalen Sirenen Alarm. »Du hast gesagt, du wärst in Paris?«
»Ja«, erwiderte ich zerstreut und warf Gabriel einen Blick zu. Ich wusste, dass er während meiner Abwesenheit Kontakt mit Cyrene gehalten hatte, also hätte er es mir doch bestimmt gesagt, wenn sie wieder in Schwierigkeiten stecken würde. »Was genau heißt ›dies und das‹?«, hakte ich nach. Sie schwieg. Dieses Schweigen kannte ich.
»Oh, Cy«, seufzte ich und sank in einen Sessel, der an der Wand stand. »Was hast du jetzt schon wieder angestellt?«
»Gar nichts! Das habe ich dir doch gesagt! Es ist... äh... es ist nur... Oh, Mayling, ich habe Probleme! Aber es ist nicht meine Schuld, ich schwöre!« Sie jammerte und schluchzte, und ich sah förmlich vor mir, wie ihr dicke Tränen über die Wangen kullerten.
»Was ist es denn jetzt schon wieder? Etwas mit dem Komitee? haben sie herausgefunden, wie du mir geholfen hast, aus ihrem Gefängnis zu fliehen?«
»Nein, damit hat es nichts zu tun. Kostya meinte sowieso, sie seien nicht schlau genug, um das jemals herauszubekommen. Es ist... es ist etwas anderes.«
»Kostya?« Ich reagierte sofort auf den Namen. »Was hat der schwarze Drache mit deinen Problemen zu tun? Belästigt er dich, Cy? Wenn das der Fall ist, erzähle ich es Drake...«
»Nein!«, unterbrach sie mich mit tränenerstickter Stimme.
»Kostya belästigt mich doch nicht - er ist wundervoll! Er braucht mich so sehr! Ich weiß, dass es dir nicht gefällt, aber wir sind zusammen, und, oh, May, ich glaube, dieses Mal ist es wirklich ernst. Ich glaube, er ist der Richtige!«
Ich hätte am liebsten meine Stirn gegen die nächstbeste Wand gedonnert, aber damit war keinem geholfen. »Ich verstehe dich nicht. Als ich dich verlassen habe, hattest du Kostya gerade zwischen die Beine getreten und ihn mit allen möglichen Schimpfnamen bedacht.«
»Ach, das. Das war nur ein kleines Missverständnis. Ich hatte mehr als einen Monat Zeit, um ihn wirklich kennenzulernen, und ich weiß jetzt, dass alle ihm unrecht getan haben, vor allem dein Wyvern.«
Bevor ich protestieren konnte, fuhr sie fort.
»Erinnerst du dich, wie ich gesagt habe, dass ich wahrscheinlich die Gefährtin deines Wyvern bin und Gabriel nur verwirrt war, weil wir doch Zwillinge sind und er dich einfach für mich gehalten hat?«
»Äh...« Ich wollte sie nicht darauf hinweisen, dass ich zweifelsfrei bewiesen hatte, dass ich Gabriels Gefährtin war. Cyrene war ein bisschen empfindlich, was das anging. Zumindest war sie es gewesen...
»Nun, ich habe darüber nachgedacht, und mir ist klar geworden, warum ich im Gegensatz zu dir mit Gabriels Feuer nicht umgehen konnte.«
»Und was ist dabei herausgekommen?«, fragte ich vorsichtig.
»Wir sind beide Gefährtinnen von Wyvern!« Sie kicherte.
»Mayling, du schnaufst wie eine Bulldogge. Reg dich nicht auf; ich nehme dir deinen Wyvern schon nicht weg. Das ist doch das Schöne an dem Ganzen - ich habe meinen eigenen! Ich bin dazu bestimmt, Kostyas Gefährtin zu sein, so wie du die von Gabriel bist.«
Ich schloss die Augen einen Moment lang, und als ich sie wieder öffnete, stand Gabriel vor mir, einen fragenden Ausdruck im Gesicht. »Probleme?«, fragte er.
»Nur Cyrene, wie sie leibt und lebt«, erwiderte ich und legte die Hand über die Sprechmuschel. »Kannst du mir zwei Minuten Zeit geben, damit ich sie zur Vernunft bringen kann?«
Er nickte. »Maata hat in zwei Wochen Geburtstag. Ich schenke ihr einen Blankoeinkaufsscheck für dieses Kaufhaus.«
Ich blickte zu den beiden Bodyguards, die an einer Wand in der Nähe des Eingangs lehnten, und nickte. »Ich beeile mich.«
»Ich sage Maata, dass sie eine Stunde Zeit hat«, erklärte er augenzwinkernd und machte sich auf den Weg.
Ich unterbrach Cyrene, die mir gerade langatmig erläutern wollte, warum sie die idealen Voraussetzungen hatte, Kostyas Gefährtin zu sein. »Darüber können wir später sprechen. Ich nehme an, die Probleme, die du vorhin erwähnt hast, haben etwas mit ihm zu tun? Haben die anderen Drachensippen etwas zu dir gesagt?«
»Oh.« Ihre Stimme sank zu einem Flüstern herab. »Nein, es ist etwas anderes. May, es ist... oh, es ist schrecklich!«
»Was?«, fragte ich. Mein Magen zog sich zusammen, obwohl ich doch eigentlich schon seit Jahrzehnten daran gewöhnt war, dass sie immer in irgendwelchen Schwierigkeiten steckte.
»Weich mir nicht ständig aus, und sag es mir endlich. Du weißt doch, dass es nur schlimmer wird, wenn du erst stundenlang versuchst, mich darauf vorzubereiten.«
»Ja, ich weiß, aber dieses Mal ist es besonders kompliziert. Es ist... es ist Neptun.«
»Wer?«, fragte ich verblüfft.
»Neptun. Du weißt schon, der Herrscher über alle Wasserwesen. Er herrscht auch über die Schwesternschaft, nur geben wir es nicht so gerne zu, weil, na ja, du weißt ja, wie manche der Schwestern sind - sie mögen Männer nicht besonders, und Neptun war immer ziemlich herablassend uns Najaden gegenüber. Als ob wir nicht auch wertvolle Geschöpfe wären. Wir leisten mehr als alle anderen Elementarwesen zusammen. Na ja.« Sie holte tief Luft und fuhr in einem gemäßigteren Tempo fort: »Neptun bestellte mich zu sich, und es war überhaupt nicht schön, May.«
»Daran zweifle ich nicht im Geringsten. Wie schlimm war es denn?«
»Sehr schlimm. Er hat mich ausgezogen.«
»Was?«, fragte ich schockiert.
»Du und deine schmutzigen Gedanken. Er hat mir meinen Titel weggenommen«, heulte sie. »Es war schrecklich.«
Ich schloss erneut einen Moment lang die Augen. »Was genau ist passiert?«
Am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen. »Es geht um meine Quelle«, antwortete Cyrene dann.
»Was ist damit?«
»Ich war im letzten Monat so viel mit Kostya beschäftigt, und die Quelle... Er brauchte mich so sehr, verstehst du, ich meine, er brauchte mich ernsthaft und beanspruchte all meine Zeit und Aufmerksamkeit... und die Quelle... na ja, nun, sie wurde gewissermaßen... verunreinigt.«
»Du hast deine Quelle nicht gepflegt?«, fragte ich ungläubig.
Als Wasserwesen hatten Najaden die Verantwortung für verschiedene Frischwasser-Ressourcen. Manche beschützten Seen, andere Flüsse und wieder andere, wie Cyrene, waren persönlich verantwortlich für Quellen, die Flüsse und unterirdische Bäche speisten. Ich war mit der Schwesternschaft der Hydriaden so vertraut, dass mir klar war, wie ernst es war, seiner Verantwortung nicht gerecht zu werden. »Oh, Cy. Wie konntest du es nur so weit kommen lassen?«
»Es war wegen Kostya! Er brauchte mich, Mayling! Niemand hat mich je so gebraucht. Er...« Ihre Stimme wurde noch leiser.
»Er ist so unglaublich sexy. Ich konnte ihm einfach nicht widerstehen.«
Ich seufzte leise. Wenn ich eins in meinem Leben gelernt hatte, dann die Tatsache, dass Strafen bei meinem Zwilling gar nichts bewirken. »Manchmal wünschte ich wirklich, du hättest bei meiner Schöpfung nicht deinen gesunden Menschenverstand aufgegeben.«
»Es tut mir leid«, erwiderte sie kleinlaut.
»Ja, ich weiß. Du warst also zu beschäftigt damit, Kostya wie verrückt zu liehen, und hast nicht auf deine Quelle aufgepasst, und jetzt ist sie verschmutzt. Aber der Schaden kann doch bestimmt behoben werden. Warum kümmert sich Neptun höchstpersönlich darum?«
»Weil Hahn, die deutsche Sylphe, meine Position einnehmen will. Deshalb. Habe ich ihn jemals erwähnt?«
»Nein. Wieso ihn? Ich dachte, Sylphen wären weiblich.«
»Du bist hoffnungslos hinter der Zeit zurückgeblieben. Beim letzten Konsortium der Elementarwesen wurde die Geschlechtsfrage der politischen Korrektheit in der sterblichen Welt angepasst. Normalerweise hätte ich kein Problem damit, dass ein Mann der Schwesternschaft beitreten will, aber Hahn ist böse, Mayling, durch und durch böse.« Cyrenes Stimme bebte vor rechtschaffener Empörung. »Er will die erste männliche Najade werden und hat sich bei der Schwesternschaft beworben. Als ich ihm sagte, dass keine Position vakant sei, behauptete er, wir würden ihn nur ablehnen wegen seines Geschlechts, und er drohte uns damit, Neptun davon zu berichten.«
»Warte mal.« Cyrenes Leben wirkte immer ein bisschen wie eine Seifenoper, deshalb war ich an die seltsamen Typen, die sie um sich scharte, schon gewöhnt, aber das kam mir selbst für sie ein wenig merkwürdig vor. »Sind denn Sylphen nicht Luftwesen? Warum will er denn unbedingt einen Job haben, der etwas mit Wasser zu tun hat?«
»Ich habe dir doch gesagt - er ist böse! Keine Sylphe, die noch ihre fünf Sinne beisammenhat, würde das Element wechseln wollen, aber Hahn möchte lieber prominent werden, als die Frischwasserreserven der Welt bewahren, wie wir Najaden es tun.«
Ich verkniff mir die Antwort, die mir auf der Zunge lag.
Ohne das leiseste Schuldbewusstsein fuhr sie fort: »Naja, wir haben uns natürlich nicht von ihm einschüchtern lassen, aber jetzt ist mir klar, dass er glaubt, sich meinen Job angeln zu können, nur weil ich Probleme mit Neptun habe. Aber ehrlich, woher sollte ich denn wissen, dass die paar Wochen, in denen ich Kostyas mentale Wunden gepflegt habe, dazu führen würden, dass die halbe Ernte in Italien ausgefallen ist?«
»Die halbe... Agathos daimon, Cy!«
»Aber es ist doch nur die halbe Ernte, nicht die ganze, wie Hahn behauptet. Aber er musste natürlich sofort zu Neptun rennen und rumposaunen, dass ich meine Position missbraucht hätte und die Sterblichen wegen mir leiden müssten. Und du weißt ja, wie Neptun ist, wenn es um die Sterblichen geht.«
»Nein, das weiß ich nicht. Ich kenne ihn ja gar nicht.«
»Oh, er ist richtig verrückt nach ihnen. Ständig nimmt er an irgendwelchen Surf-Wettbewerben teil. Er kann an nichts anderes denken. Daran und wie er unschuldige Najaden am besten bestraft. Aber das gehört nicht hierher - du musst mir helfen, Mayling. Du musst zu Neptun gehen und ihm erklären, dass ich keine Zeit hatte, mich um die Quelle zu kümmern, weil ich so damit beschäftigt war, dich aus Abbadon herauszuholen.«
»Oh nein, ich werde nicht als Sündenbock herhalten, nur weil du den schönen schwarzen Augen eines Drachen erlegen bist. Das kannst du ihm selber erklären.«
»Aber mir hört er doch nicht zu!«, heulte sie. »Hahn hat ihm so viele Lügen über mich erzählt, dass Neptun mir kein Wort glauben wird.«
Ich rieb mir die Stirn. »Und warum sollte Neptun ausgerechnet mir zuhören?«
»Weil du jetzt jemand bist, Mayling! Du bist jetzt wichtig! Du bist eine Berühmtheit!«
»Wovon redest du?« Wieder rieb ich mir über die Stirn, immer wenn ich mit Cyrene redete, bekam ich Kopfschmerzen.
»Ich bin keine Berühmtheit.«
»Doch, klar. Du bist in aller Munde - die Drachengefährtin, die gleichzeitig Gemahlin eines Dämonenfürsten ist. Das ist fast so gut wie das, was mit Aisling passiert ist, nur dass du keinen eigenen Dämon hast.«
»Ich habe doch dich«, erwiderte ich, obwohl ich wusste, dass Ironie an Cyrene nur verschwendet war.
»Ja, das ist auch wesentlich cooler«, stimmte sie mir zu. »Deshalb sollst du ja auch mit Neptun reden. Er wird dir zuhören, weil du ja keine eigenen Interessen verfolgst. Du willst ja nur, dass Gerechtigkeit geschieht.«
»Selbst wenn er mir zuhören würde, würde ich nicht lügen, Cyrene. Die Sache mit Magoth und mir hat nichts damit zu tun, dass du deine Quelle vernachlässigt hast.«
»Aber natürlich! Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht! «, protestierte sie. Ich seufzte. Sie klang vollkommen aufrichtig, und mir war klar, dass sie ihre Handlungen zumindest vor sich selbst gerechtfertigt hatte, indem sie mich als Sündenbock benutzte. Ich hätte ihr gern widersprochen, aber die lebenslange Erfahrung mit Cyrene hatte mich vor allem eins gelehrt: Sie würde ihren Willen durchsetzen. Irgendwie wurde ich letztendlich immer weich und half ihr.
»Na gut, ich rufe ihn an. Wie ist seine Nummer?«
»Du musst schon persönlich mit ihm sprechen«, erwiderte sie fröhlich. Von Tränen und Verzweiflung keine Spur mehr. »Er hält nichts von Handys. Aber du hast Glück - er ist in Portugal bei einem Surf-Wettbewerb, deshalb brauchst du gar nicht weit zu fahren, um ihn zu treffen.«
»Wir«, korrigierte ich sie entschieden. Ich sah Gabriel, der am Eingang des Kaufhauses auf mich wartete.
»Wir?«, fragte Cyrene leise.
»Oh ja. Du wirst mich begleiten.«
»Aber...«
»Wo genau hält er sich auf?«, unterbrach ich sie. Ich hatte keine Lust, noch mehr von meiner Zeit mit Gabriel zu verlieren. Ich würde einen Blitzbesuch in Portugal machen, Cyrenes Chef davon überzeugen, dass sie unschuldig war, und dann in Gabriels Arme zurückkehren.
»Der Surf-Wettbewerb ist in Faro«, antwortete Cy langsam.
»Aber wirklich, May, ich glaube, es wäre besser...«
»Wir treffen uns da... lass mich mal überlegen... Ich habe heute ein Drachen-Treffen, und danach ist zwar erst einmal kein wichtiger Termin, aber ich würde gerne ein bisschen Zeit allein mit Gabriel verbringen, damit wir unsere Beziehung auffrischen können. Was hältst du davon, wenn wir uns in vier Tagen dort treffen?«
»Das wäre in Ordnung«, erwiderte Cyrene enttäuscht. »Es ist sehr nett von dir, dass du dir Zeit für mich nimmst«, fügte sie spitz hinzu.
Ich lächelte. »Gib dir keine Mühe, Cy, Boshaftigkeit steht dir nicht.«
»Ich weiß«, erwiderte sie seufzend. »Vier Tage ist in Ordnung.
Ich habe selber noch ein paar Dinge zu erledigen.«
»Was für Dinge?«, fragte ich misstrauisch.
»Oh... das wirst du schon sehen.«
»Cyrene Northcott, wenn du...«
»Ich fände es entsetzlich, wenn ich so misstrauisch wäre wie du, wirklich«, unterbrach sie mich. »Ich mache gar nichts, ich habe lediglich etwas zu tun.«
»Oh, oh. Wenn du dich mehr um deine Arbeit gekümmert hättest und etwas weniger um Kostya herumscharwenzelt wärst, dann bräuchte ich jetzt nicht deinem surfenden Boss einen Besuch abzustatten.«
»Ja, Mutter.«
»Ich würde mich ja gerne weiter mit dir streiten, aber Gabriel wartet auf mich. Er sieht hinreißend aus, und ich habe sechs Wochen Küssen nachzuholen.«
»Mayling...«
»Wir sehen uns am Mittwoch. Und, Cy, bitte versuch, nicht noch mehr Probleme anzuziehen.«
»Früher warst du nie so gemein zu mir«, antwortete sie schmollend. Ich eilte zu Gabriel. »Ich finde, die Zeit in Abbadon hat deinem Charakter nicht gutgetan. Ich hoffe nur, dass du nicht vorhast, jetzt immer in diesem Ton mit mir zu reden. Ich bin dein Zwilling! Ohne mich gäbe es dich gar nicht! Du solltest mir lieber dankbar für deine Existenz sein, statt mich so zu tyrannisieren!«
Ich beendete das Gespräch, indem ich sanft das Handy zuklappte. Gabriel lehnte mit verschränkten Armen an der Wand. Sein Blick war so heiß wie geschmolzenes Silber. »Fertig?«, fragte er.
»Cyrene nicht, aber ich. Fahren wir nach Hause?«
Er berührte mich nicht, aber das brauchte er auch gar nicht. Bei seinem Blick breitete sich Feuer in mir aus. »Ja, kleiner Vogel.«
Ich lächelte. Ich könnte mich daran gewöhnen, die Gefährtin eines Wyvern zu sein.